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Papa, du spinnst

Es ist Herbst. Der griesgrämige Nieselregen leckt uns über das Gesicht und hinterlässt Abschiedstränen des Sommers auf unseren Wangen. Doch Phillip und mir ist das „…pupsegal, wa Papa?“. Denn des Herbstes energischer Gesell hat sich dazu gesellt. Der Wind ist endlich da.Wir haben ein kleines Ritual. Nach Frühstück und Kaffeetrinken machen wir einen langen Spaziergang durch den Neuenhagener Kiez. Was für Phil sehr aufregend ist. Es gibt viel zu sehen. Pferde, Wiesen, Wald und jede Menge Federvieh. Und seit neuestem auch die malerischen Künste des Herbstes. Neuenhagen leuchtet in allen erdenklichen Farben.Gut, wir haben Herbst, Wind, einen aufgeweckten Jungen, einen verspielten Papa und einen neuen Lenkdrachen. Eigentlich gute Zutaten für das Rezept „Aufregender Vormittag auf dem Weizenfeld“:

  • Man nehme eine Prise Wind – haben wir definitiv
  • Zwei Esslöffel Bengel mit Schalk im Nacken – ooops, davon habe ich wohl ein Bisschen zu viel gekauft
  • Einen knallbunten Lenkdrachen – bunt muss er schon sein!
  • Einen Papa der Ahnung vom Drachensteigen hat – auch davon haben wir reichlich.

Lasst uns mit der Zubereitung des Abenteuers beginnen. Man stemme sich mit Jungen mit Schalk gegen die klitzekleine Prise Wind und komme nach gefühlten 30 Minuten endlich auf dem Feld an. Drachen ausgepackt – nun kann es eigentlich losgehen. Eigentlich……Als im Rezept „ein Papa der Ahnung vom Drachensteigen hat“ erwähnt wurde, dachte ich, dass meine Kenntnisse reichen würden, die ich mir selbst als Junge angeeignet habe. Und wir haben unsere Drachen damals nicht gekauft, sondern selbst gebaut. So betrachtete ich mich voller Stolz als Drachenveteranen, der der Jugend von spannenden Begebenheiten zu berichten weiß. Aber mit meinem rudimentären Können Lenkdrachen beherrschen wollen, ist wie, sich nach Absolvieren des Führerscheins für Automatikschaltung hinter das Steuer eines Geländewagens mit Sechsganggetriebe zu setzen.

Es musste scheitern. Der Drachen stieg pfeilschnell steil nach oben, nur um nach ein paar Pirouetten mit der gleichen Geschwindigkeit wieder auf dem Boden aufzuschlagen. Das war für Phillip natürlich bei Weitem nicht annähernd so spektakulär wie sein (in meinen Augen unterentwickelter) Winnie-Pooh-Drachen. Der blieb beim leisesten Windhauch in der Luft und Phil konnte ihn selbst halten. Nach zwanzig erfolglosen Minuten verlor mein Sohn verständlicherweise schlichtweg das Interesse. Grummelnd machte sich Papa (der offensichtlich doch nicht so bewandert in Drachenkunde war), mit dem Jungen (jetzt ohne Schalk, dafür voller Vorwürfe wegen Papa’s Versagen) gegen den Wind kämpfend (wer hat eigentlich die Menge von einer Prise auf 2000 Gramm erhöht?) wieder auf den Heimweg.

Das Mittagessen verlief frostig. Phillp verstimmt, Papa gnatzig und Mama ausgestattet mit einer Salatschüssel voll guter Ratschläge. Als Mama mich, nachdem wir die Kinder ins Bett gebracht haben, fragte, ob wir auch Mittagsschlaf machen wollen, musste mein verletzter Stolz lautstark verneinen. Ich hatte noch eine Rechnung zu begleichen! Ich blamiere mich kein zweites Mal vor meinem Thronfolger! Das feurige Blut des Drachenreiters kochte wieder in mir. Mit dem Fahrrad (ein Schlauchboot wäre bei dem Regen inzwischen besser gewesen) machte ich mich mit der widerspenstigen Bestie im Handgepäck wieder auf dem Weg zum Showdown mit dem Wesen der Mythen und Fabeln.

Vom Ross gestiegen, das Visier der Rüstung tief ins Gesicht gedrückt, stand ich auf dem schlammdurchtränkten Schlachtfeld Angesicht zu Angesicht mit dem furchterregenden Lindwurm. Ich kitzelte ihn zaghaft und ließ ihn Zentimeter für Zentimeter das Reich der Lüfte erobern. So langsam bekam ich den Dreh raus, wie zwei Leinen handzuhaben sind. Ein paar Minuten später ließ ich der Bestie todesmutig freien Lauf. Bis es nicht mehr weiter ging. Dreißig Meter Leine abgespult!!! Und was war das für ein herrliches Gefühl, die Mächte der Natur und den allesverschlingenden Lindwurm unter meiner Kontrolle. Er zerrt an meinen Armen aber ich zwinge ihn zu immer waghalsigeren Manövern. Loopings, steilen Sinkflügen, Pirouetten. Alles ohne Bruchlandung. Eragon ist zurück!

Ich fühle mich wieder frisch und voller Energie. Nach zwei Stunden wanke ich siegestrunken nach Hause und erzähle Phil von den neuen Abenteuern des Drachenreiters. Von den neuen Geschichten des Luftfahrtpioniers. Von dem Kampf gegen den König des Windes und gegen den furchterregenden Drachen. Und, wie wird einem die Aufopferung und das eingegangene lebensgefährliche Risiko gedankt? Phillip kommentiert mein Seemanns Pilotengarn ganz lapidar: „Papa, du spinnst!“ Kein Respekt mehr die Jugend…

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