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Wie man Freunden weh tut

Wir hatten Samstag Besuch. Unsere längsten und liebsten Freunde Sandy und Thomas waren da. Zuletzt haben wir uns zur Jugendweihe meiner Tochter gesehen. Und da auch nur kurz. Wir kennen die beiden bereits seit dem Gymnasium. Ich habe schon immer viel Unfug mit Thomas angestellt und Sandy und mein Glüggeweib waren Bestandteil einer Mädelstruppe, die auf dem Schulhof regelmäßig begehrliche Blicke der Männerwelt auf sich zog. Zu Zeiten, als unser Jahrgang noch der Meinung war, dass Tina und ich uns hassen, da wir ständig verbales Pingpong gespielt haben (was mir noch heute stets außerordentliches Vergnügen bereitet), war sich Sandy schon früh sehr sicher, dass sich zwischen meiner Frau und mir etwas anbahnt. Als wir es ihr schließlich erzählten, dass wir einander lieben, sagte sie damals nur lapidar: „Das ist mir schon längst klar.“ Sie war auch eins der wenigen Mädchen, mit der ich über meinen Liebeskummer reden konnte.

Die zwei sind also schon seit einem gefühlten Jahrhundert Bestandteil unseres Lebens und wir haben gemeinsam viele schöne Erlebnisse geteilt, gemeinsam unsere Hochzeiten begleitet, gemeinsame Urlaube und Ausflüge unternommen, uns immer geholfen und halt auch manchmal gemeinsam schwere Erlebnisse gemeistert. Sie hielten als eine der ersten Menschen unseren Sohn in den Armen, wir begleiteten ihre Hochzeit mit einem 12 Tage alten Hosenscheißer. Sandy ist der strahlende Engel und Thomas der Typ, der bei Anruf nachts um vier den Benzinkanister mitbringt und ohne Nachfragen Schmiere steht.

Nun waren sie also Samstag da, wir haben den Lehmbackofen befeuert, die ganze Truppe mit Pizza und Flammkuchen versorgt und stundenlang über Gott und die Welt gequatscht. Was so unfassbar angenehm ist, ist ihre Abgeklärtheit und das Missbilligen jeglicher gesellschaftlicher Spaltung. Eigentlich haben wir ja bezüglich Schweden das Credo, so wenig Menschen wie nötig einzubinden. Wir scheuen die Diskussionen von Menschen, die kein Verständnis für unsere Entscheidung haben und da gibt es allein im näheren Bekanntenkreis genügend Menschen. Die öffentliche Ankündigung wollen wir halt erst machen, wenn drüben in Sverige alles in Sack und Tüten ist. Haus gekauft, umgemeldet, kurz vor der letzten Fahrt nach Norden.

Nach dem wundervollen Abend vorgestern, wo man mal wieder frei reden konnte, ohne sich Gedanken machen zu müssen, welche Worte man wählt oder ob gar richtig gegendert wird, wo aktuelle Themen über dieses nicht mehr funktionierende Land offen und völlig wertungsfrei ausdiskutiert werden können, haben wir wieder einmal feststellen müssen, dass die beiden so sehr zu unserem Leben gehören, als wäre es Familie. Nun, andere Familienmitglieder wissen bereits Bescheid. Wir waren nach Samstag wieder so geerdet und haben uns so rundum wohlgefühlt, dass es uns weh tat, sie über unsere nun doch schon konkreten Pläne im Unklaren zu lassen. Es wäre jedes Mal ein Wermutstropfen, ihnen eine solch schwerwiegende Entscheidung vorzuhalten und sie quasi anlügen zu müssen. Ja, auch Verschweigen kann Lügen sein.

Nachdem die beiden nach Hause gefahren sind, stellte Tina fest, dass Thomas den Phlox, den sie ihnen abgestochen hatte, liegen lassen hatte. Er schrieb dann auch, dass er ihn Sonntag abholen kommt. Ich antwortete, vielleicht bringt er seine Gattin auch mit, dann kann man ja kurz noch mal schnackeln. Also kamen sie um die Mittagszeit noch einmal vorbei.

Nachdem Tina Bestätigung in meinem Blick suchte, sprach sie das Thema an und legte unsere Gefühle und Gedanken dar. Dass wir mit der BRD nicht mehr klarkommen und das Corona unabhängig, dass wir unsere Kinder von dem steigenden Konformitätsdruck fernhalten wollen und letztendlich ebenso ihre wie unsere seelische Gesundheit sicherstellen möchten. Schweigen, Tränen und trotz allem vollstes Verständnis für unsere Entscheidung. „Wir finden es (für uns) Scheiße, aber akzeptieren voll und ganz Eure Entscheidung. Wir wissen, wie ihr tickt und wir wissen ebenso, dass ihr ja schon seit Jahren von Skandinavien träumt. Wir haben so etwas irgendwie schon geahnt.“

Das Gespräch ging dann noch ein Weilchen und hat sicherlich den einen oder anderen Kloß im Hals produziert. Wir haben über unsere Sorgen und Ängste gesprochen und haben auch für uns verinnerlicht, dass Auswandern für die zwei zu keiner Zeit eine Option wäre. Aber das lebenslange Besuchsrecht ist für beide Familien in beide Richtungen besiegelt. Keine Vorwürfe, vollstes Verständnis und das Versprechen, uns wo auch immer möglich zu unterstützen. Wenn das kein Beweis tiefer Freundschaft ist, weiß ich auch nicht.

Heute kam dann noch eine Nachricht von Sandy, in der sie schrieb, dass sie unser „Geständnis“ zum Einen freut, da wir sie so früh in diese Gedanken einbezogen haben und sie die Zeit haben, mit der neuen Situation klar zu kommen, auf der anderen Seite aber ab sofort schon eine große, schmerzende Last auf ihren Schultern liegt, da für sie gerade unser Weggehen schon sehr schmerzhaft ist. Es entsteht halt eine Lücke, wo die letzten 30 Jahre eine sehr enge Verbindung bestand.

Und allein dafür verachte ich die BRD. Sie zwingt mich, Menschen weh zu tun, die ich über alles liebe. Bleibt zu hoffen, dass die Narben dieser Wunden nicht all zu tief verlaufen. Und schon heute wissen wir, dass es jedes Mal eine ganz besondere, innige und liebevolle Zeit wird, wenn wir uns gegenseitig besuchen. Die beiden und ihre wundervollen Töchter werden wir ganz besonders vermissen. Mein tiefster Wunsch ist, dass diese Freundschaft auch diese aufgewühlten Gewässer schadlos übersteht.

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