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Till nya stränder

Auf zu neuen Ufern

Das ging gestern dann doch schnell. Da mein Funkerfreund Stefan noch einen Achsenbruch hatte, und diesen weiter entfernt reparieren lassen musste, war er schon eher am verabredeten Rastplatz an der A11, sodass ich dann doch eine halbe Stunde früher losfuhr, als eigentlich beabsichtigt. Meine Lieben noch einmal schnell in den Arm nehmen, meiner Tochter und dem Glügge-Weib die Tränen von den Wangen wischen, eine letzte feste und innige Umarmung des Großen und los geht es über Stettin nach Swinemünde. Das trübe, nassfeuchte Wetter passt zur Abschiedsstimmung, nicht jedoch aber zum Aufbruch.

Das TT-Terminal und der Swinemünder Hafen generell kann Rostock bei weitem nicht das Wasser reichen. Unübersichtliche Baustellen, schlecht ausgeschilderte Wege aber dafür einen Dieselliterpreis von 1,22€. Da kann man schon mal über das scheinbare Chaos hinwegsehen. Letztendlich klappt alles besser als gedacht und die Fähre legt sogar pünktlich um 1:00 Uhr ab. Habe ich die letzten Male in Rostock ganz anders erlebt.

Übermüdet

Auf der Fähre ist – wie jedes Mal – an Schlaf natürlich erst einmal nicht zu denken. Wir haben zwar nur sechseinhalb Stunden für die Überfahrt, aber die Ausfahrt aus dem Hafen genieße ich immer an Deck. Die Meeresluft; das vereinzelte Kreischen von Möwen, die offensichtlich auch noch nicht schlafen können; die Fähre, die sich trotz ihrer bulligen Kraft ganz zaghaft aus dem Hafenbecken zieht, bevor sie ihre Muskeln über den Tiefen des Baltischen Meeres spielen lässt – all das genieße ich zu sehr, als dass ich gleich in die Kajüte könnte. Und auch dieses Gefühl der unbändigen Freiheit und die Last, die ich stets auf dem Weg nach Norden verliere sorgen für weiteres aufgekratzt sein. „Nach Norden, in die Weite“ – dieses straffe Band zog die letzten zwei Jahre innerlich doch sehr an uns. Meines jedoch verliert so langsam an Spannung, während die restlichen drei Teile meines Seelenfriedens zurückbleiben und jenes Band nun gestrafft wird. Ich bin ein ganz klarer Corona-Gewinner, war doch die reisende Tätigkeit mit einhergehender temporären Trennung eine sehr unangenehme Erfahrung, die mir durch das Homeoffice erspart bleibt. Nun also wieder einmal temporärer Verzicht auf das Familienleben, dafür aber das Dürsten nach neuen Wegen. Ja auch Wermutstropfen muss es bei Reisen geben. Wie sollte man seine Familie schätzen, wenn es nicht so wäre?

Am nächsten Morgen geht es halb acht in der viel zu frühen Frühe in Trelleborg an Land. Kaffee muss warten, bis es einen vernünftigen Fika gibt. Die Plörre auf der Fähre kann man nicht Kaffee nennen. Die Zollbeamten scheinen etwas Dringendes zu suchen, denn auch Stefan mit seinem vollbepacktem Pferdeanhänger wird (anders als sonst) gelangweilt durchgewunken. Ab auf die E6 nach Norden! Es beginnt die Entschleunigungsfahrt – so nenne ich das immer. Tempomat auf 100 km/h, Fenster auf, Entspannen schwedisches Radio hören und die Landschaft genießen. Erst die flache, unspektakuläre, zögerliche Landschaft mit dafür umso spektakulärerem Sonnenaufgang an der Küstenlinie, die so an Schleswig Holstein und Dänemark erinnert, dann der Übergang zu brandenburgähnlicher Landschaft mit weiten Weideflächen, Äckern und baumgeschmückten Alleen. Allerdings stets herzerwärmend mit rot-weißen Häuschen und Scheunen geschmückt.

Dann kommt endlich der ersehnte Übergang zum großen Bruder des Harz‘, mit seinen dunklen, dichten Wälder, die zahlreichen von Zeit und Eis zerklüfteten und moosbewucherten Schieferformationen und den Bergseen, die verträumt und scheinbar vergessen hinter jeder Ecke schlafen. Bald schmücken die Felsformationen sich mit Frau Holles Kleid und die Schneegrenze ist erreicht. Eine tiefe Ruhe und Gelassenheit erfasst mich. Und Glück. Einfaches, simples, tiefgehendes Glück. Nur des Schnees wegen. Ich weiß, ist kindisch. Aber ich kann es nun mal nicht unterdrücken. Ebensowenig wie mein breites Grinsen.

Wir machen bei Kathleen in Ryr Zwischenstopp, da der Hänger noch abgeladen werden muss, nach ein paar Gesprächen und einem Kaffee geht es zur letzten Etappe. Wir grüßen den mit einem herrlichen Sonnenuntergang eingehüllten, vereisten Vänern und fahren die letzten 150 Kilometer nach Borgvik. Auch hier Schnee, Eis und rot-weiße Häuser.

Borgvik wird nun die nächsten sechs Wochen mein Lebensmittelpunkt sein und ich werde es lieben. Die Stille hier oben ist sehr heilsam. Tagsüber wird gearbeitet, danach weitere infrage kommende Objekte suchen, Besichtigungstermine koordinieren usw. Am späten Nachmittag werde ich die Ruhe und Weite genießen, am Vänernsee spazieren, meine Gedanken dabei ordnen und bei der Rückkehr ins Haus die Wärme genießen, die die hier draußen so herrlich von der Kälte gekniffenen Wangen aufwärmt. Nur leider tue ich das noch allein. Das ist der einzige Nachteil der ganzen Konstellation. Ich kann mit der Familie nur telefonieren, sie nur auf dem Bildschirm sehen und nur versuchen, mit Worten zu vermitteln, wie schön es hier ist.

Aber auch das ist nur ein temporärer Zustand, eine Anekdote unserer Reise. Auch das geht vorüber und gipfelt im nächsten Kapitel und im übernächsten. Vermisse ich meine Lieben – ganz klar ja. Bin ich traurig? Auf keinen Fall. Und auch wenn es hier kalt und windstill ist, der Wind der Veränderung weht um die Nase. Und das ist ein völlig erhebendes Gefühl. 

2 Kommentare

  1. Schulz Autor des Beitrages | März 5, 2022

    Wir sind gespannt, wie der Neusiedler den neuen Lebensweg meistert , natürlich wünschen wir dir viel Erfolg…werden alles mit Interesse verfolgen .. LG Norbert und Sabine

    • Ken Wolfgangsson Autor des Beitrages | März 5, 2022

      Hallo ihr Lieben, schön dass Ihr es auf unser Onlinetagebuch geschafft hab. Es freut mich, dass Ihr das weiter verfolgt. Ich werde auch ganz brav weiter berichten. Ganz liebe Grüße nach Berlin.

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