Eine kleine Unterschrift für einen großen Schritt
Dienstag, 08. März 2022 – internationaler Frauentag. Ein Tag zum Feiern, auch wenn mein Glügge-Weib Luftlinie achthundert Kilometer südlicher verweilt. Ich unterschreibe heute den Kaufvertrag für das wundervollste Haus, was wir in den letzten acht Monaten auf hemnet.se gefunden haben. Wenn ich mir den bisherigen Verlauf unserer Reise anschaue, ist es einfach nur atemberaubend, wie gut bisher alles ineinander greift. Letztes Jahr im August sagte meine Frau: „Lass es uns endlich tun. Lass uns nach Schweden gehen!“
Im November hat unsere liebe Carrie das „Feuer frei“ für den Start des Hausverkaufs bekommen. Am 10 Januar dieses Jahres kam der Fotograf, am 24. Februar unterschrieben wir mit Familie B. bereits den Verkaufsvertrag beim Notar, nur um zwölf Tage später unser wirkliches Wunschobjekt zu bekommen. Unsere Maklerin witzelte gestern, dass das eine ganz tolle Story für ihre Kunden wäre. Mein Kommentar war: „So ein Anglerlatein glaubt Dir keiner. Das ist ja mal eine völlig verkitschte Geschichte ohne Stolpersteine und Drama. Auch wenn sie völlig wahr ist.“
Den Nachmittag habe ich freigenommen. Um 17:00 Uhr ist der Termin bei Urban und Mona, dem Makler und seiner Koordinatorin von Fastighetsbyrån Filipstad. Gegen drei wollte ich eigentlich losfahren, aber ich habe viel zu viele Hummeln im Hintern, sodass ich den Rechner gegen eins herunterfahre, ins Auto steige und nach Filipstad fahre. Das Haus in Borgvik ist heute zu eng, um darin so lange zu verweilen. Das Wetter ist, wie die letzten Tage, auf Frühling eingestellt. Tiefblauer Himmel, strahlender Sonnenschein und knappe 12°C locken, die gut einhundert Kilometer mit offenem Fenster durch die immer noch winterliche Landschaft zu fahren. Ein Genuss, den immer noch schlafenden Vänern zu sehen, der seine gefrorenen Wellenkämme keck leuchtend den Sonnenstrahlen entgegen streckt. Aber diese sind immer noch nicht stark genug, dieses Schauspiel in den tauenden Frühling zu schicken.
Natürlich bin ich viel zu früh in Filipstad und schaue schon einmal im Viktoriagatan vorbei, um nachher nicht zu spät das Maklerbüro zu finden. Danach schlendere ich durch die Wasa-Stadt. Die Sonne ist wirklich erstaunlich warm im Gesicht und ich optisch alter Zausel habe das Bedürfnis, endlich wieder einen vernünftigen Haarschnitt zu bekommen, den Kauf eines wundervollen Hofs in Schweden besiegelt man ja schließlich nicht alle Tage.
Ein netter Barberare in einem kleinen Salon nahe des Marktplatzes hat endlich Erbarmen und befreit mich ohne Termin von der Wolle der letzten drei Monate. Nach einer halben Stunde Schwerstarbeit des Barbiers verlasse ich den kleinen Salon mit einem Kopf, der gefühlt 2 Kilo weniger wiegt. Am Kanal sitzt ein gut gekleideter Gentleman aus am Skillerälven und schaut in den Sonnenuntergang. Hat der eine Ruhe weg, während ich mir noch eine ganze Stunde um die Ohren schlagen muss!
Ich steuere zielsicher auf das Sushi-Restaurant zu, welches ich bei meiner Ankunft schon registriert habe. Von einem freundlich lächelndem Angestellten werde ich platziert und keine 10 Minuten später bedient. Keine Maske, keine Regeln, keine Enge – dafür eine tiefe Befriedigung, saß ich schließlich das letzte Mal 2019 in meinem Lieblings-Sushi-Restaurant in Frankfurt. Seitdem gab es nur noch Lieferservice-Sushi. Und ganz ehrlich, wer eine lauwarme Misosuppe aus einer Pappschüssel löffelt, hat eindeutig die Kontrolle über sein Leben verloren.
Andachtsvoll genieße ich die Gaumenfreuden und schaue den Einwohnern bei ihrem Alltag zu, der sich vor den Panoramascheiben so abspielt. Zwischendurch tickert mich Anna, Carries Frau, immer wieder an. Noch fünfzig Minuten, noch dreißig. Sie versteht es wirklich vortrefflich, meine Nerven noch zusätzlich zu malträtieren…
Ich bezahle mein erstes Restaurant-Sushi nach knapp drei Jahren gern und mache mich auf zum Maklerbüro. Ich bin immer noch eine Viertelstunde zu früh, aber Mona und Urban winken mich schon freundlich herein und wir reden über den bevorstehenden Kauf, lachen über mein mangelhaftes Schwedisch und warten auf Maria und Tony, die nach der Arbeit direkt hierherkommen. Auch sie schaffen es pünktlich und so sitzen wir bei einem Fika zusammen und das Eis ist schnell gebrochen. Maria sehe ich heute zum ersten Mal. Sie war letzte Woche nicht vor Ort. Auch sie ist sehr sympathisch und redet für eine Schwedin sehr temperamentvoll 😊
So langsam schwenkt das Gespräch zum notariellen Teil. Manchmal vergisst Urban, dass ich ganz dringend auch den englischen Gegenpart benötige, was er aber umgehend korrigiert, wenn ich fragend die Stirn runzle. Ob ich eine Energiedeklaration benötige, wird zwischendurch gefragt. Tony erzählt, dass bis Juni auf alle Fälle noch eine Entsorgungsfirma kommen wird, um das Haus leer zu räumen. Ein nichtrenovierter Raum ist die Jahre als Lager für die Altlasten des Hauses genutzt worden. Das alles soll noch entfernt werden. Am 1. Juni soll die Übergabe sein. Auf seine Frage, ob wir auf eine Räumung der Scheune bestehen, winke ich ab. Die beiden werden ebenfalls genug zu tun haben, den Umzug Richtung Karlstad zu bewerkstelligen. Wir haben alle Zeit, wenn wir erst einmal da sind. Das kann auch noch die nächsten Jahre Stück für Stück passieren und muss nicht in zehn Wochen auf Krampf mit Kosten geschehen. Lagom…
Auch das Thema Übernahme der Traktoren und einiger Möbelstücke spricht er an. Wir haben nun erst einmal alles hingelegt, was uns möglich ist, ich bin mir jedoch sicher, dass wir mit den beiden eine einvernehmliche Lösung finden werden. Erstaunlich schnell ist der offizielle Part vorbei, wir unterschreiben drei Ausfertigungen, geben uns zum Abschied noch einmal die Hand und schon sind wir Eigentümer unseres Neuanfangs. Mit einem Mal ist der Riese Hofkauf in Värmland zu einem Scheinriesen geschrumpft.
Die Eineinhalbstundenfahrt zurück nach Borgvik ist eine sehr kurzweilige. Viele Telefonate mit Familie und Freunden lassen die Zeit wie im Flug vergehen. Meine Mama weint am Telefon vor Erleichterung, hat sie uns insgeheim im Oktober schon obdachlos in Schweden gesehen. Aber so sind Eltern. Ihre Kinder bleiben nun mal immer ihre Kinder. Auch das Sorgen machen bleibt wohl ein Leben lang 🙂
Ich kündige Tina und den Kindern an, Freitag die Fähre zurück zu nehmen, schließlich kann ich hier aktuell nicht mehr viel erledigen. Ich werden noch zwei Tage arbeiten, ein paar Dinge in Borgvik einlagern, die nicht mehr zurück müssen, noch einmal bei Olaf vorbeischauen und dann endlich meine Lieben wieder in die Arme schließen. Nach vierzehn Tagen Trennung, die ursprünglich bis mindestens Ostern geplant war. Wahnsinn!
Auch diesen Abend sitze ich bei Minustemperaturen, in meine Decke gehüllt, noch sehr lange am See und genieße die sternklare Winternacht mit ihrer wundervollen Eisgesangsuntermalung. Der Schlaf wird noch ein Weilchen auf sich warten lassen. Etwas finde ich es schon schade, dieses Land schon wieder zu verlassen, und in die BRD zurück zu müssen, aber dieser Schmerz ist endlich. Bald sind wir wieder hier. Gemeinsam.
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