Astrid Lindgren schreibt in der gleichnamigen Kurzgeschichte:
Jetzt will ich euch ein Märchen erzählen. Es handelt von einer Frau, nennen wir sie Pomperipossa, denn so pflegt man in Märchen ja zu heißen. Sie wohnt in einem Land, das wir Monismanien nennen wollen, denn einen Namen muss es schließlich haben. Pomperipossa liebte ihr Land, seine Wälder, seine Berge und Seen und seine grünen Wiesen, aber nicht allein dies alles, sondern auch die Menschen. Und sogar die weisen Männer, die dem Land vorstanden, liebte sie. Oh, sie fand sie so weise, und deshalb stimmte sie auch getreulich für sie, wann immer weise Männer gewählt werden sollten. Die weisen Männer, die dort schon seit über vierzig Jahren schalteten und walteten, hatten einen so guten Staat geschaffen, fand sie, denn niemand brauchte arm zu sein, alle sollten ihr Stück von dem Wohlstandskuchen abbekommen, und Pomperipossa war glücklich darüber, dass auch sie zum Backen dieses Kuchens ihr Teil hatte beitragen können.
Nun gab es in Monismanien etwas, das Marginalsteuer hieß, und das besagte, dass je mehr Geld man verdiente, desto mehr davon hatte man dem Reichsschatzmeister abzuliefern, damit der Wohlstandskuchen gebacken werden konnte. Mehr als 80 bis 83 Prozent wollte er aber von keinem haben, nein, er war ja nicht unvernünftig. „Liebe Pomperipossa“, sagte er, „so an die 17 bis 20 Prozent darfst du für dich behalten und kannst damit tun, was du willst.“ Und Pomperipossa war von Herzen zufrieden damit und lebte froh und puppenlustig. Dennoch gab es im Lande viele unzufriedene Menschen, die an ihre Schilde schlugen und über „die drückende Steuerlast“, wie sie es nannten, murrten. Das tat Pomperipossa niemals, kein Mensch in Monismanien hatte von ihr je auch nur das leiseste Murren über ihren Beitrag zum Wohlstandskuchen vernommen. Diese Pomperipossa schrieb Kinderbücher. Sie tat es aus purer Vergnügungssucht. Und eines Tages dachte sie: Wer weiß, vielleicht sind Kinder fast ebenso kindisch wie ich, vielleicht wollen auch sie meine schnurrigen Einfälle lesen? Es zeigte sich, dass sie es wollten. Und nicht nur die Kinder in Monismanien, sondern auch die in fernen Ländern, sowohl im Osten als auch im Westen, wollten es. Man sollte es nicht für möglich halten, aber da saßen doch tatsächlich in allen Ecken und Winkeln der Welt einfältige Kinderchen und lasen und lasen und konnten nicht genug bekommen! Dadurch aber bereiteten sie Pomperipossa großes Ungemach, jawohl, denn je mehr sie lasen, desto mehr Geld regnete auf die arme Pomperipossa herab. Die „arme“, warum denn das? Wartet’s nur ab!
Eines schönen Tages waren die weisen Männer, die in Monismanien das Sagen hatten, auf einem Schloss versammelt, das wir Haga nennen wollen, weil es nämlich so hieß, und dort fassten sie, vermutlich während einer Kaffeepause, als ihnen zum gründlichen Nachrechnen keine Zeit blieb, einen bemerkenswerten Beschluss, der nicht nur für Pomperipossa, sondern auch für viele andere Menschen in Monismanien das Leben über Gebühr vertrackt machte. Doch davon wusste Pomperipossa zunächst nichts. Sie hörte erst davon, als eine gute Freundin sie eines Tages fragte: „Weißt du eigentlich schon, dass deine Marginalsteuer in diesem Jahr 102 Prozent beträgt?“ „Unsinn“, sagte Pomperipossa, „so viele Prozente gibt’s ja gar nicht!“ Denn die höhere Mathematik war nicht gerade ihre Stärke. Doch, doch, kriegte sie daraufhin zu hören, in Monismanien gebe es wer weiß wie viele Prozente und lege man die Einkommensteuer und die Sozialabgaben, die Pomperipossa zu entrichten habe, weil sie ja freier Unternehmer sei, zusammen, dann mache das 102 Prozent aus, da könne Pomperipossa sagen, was sie wolle!
Als sie so weit gekommen war, sagte sie sich: „Mein Altchen, rechnen hast du nie gekonnt! Es gibt ja Dezimalstellen und all so was, bestimmt hast du dich verrechnet, ganz gewiss müssen dir 50 000 bleiben.“ Also fing sie wieder von vorn an, aber das Ergebnis änderte sich nicht – verdiente sie zwei Millionen, durfte sie 5000 Kronen behalten! Um davon zu leben! Pomperipossa war tief bekümmert, das lässt sich nicht leugnen, und sie sagte sich: „Nicht dass du gerade eine starke Esserin bist, aber trotzdem! 5000 Kronen – wenn der Salzhering, einst das Armeleuteessen, so himmelschreiend teuer geworden ist und alle anderen Preise dementsprechend.“ Jetzt bekam sie es wirklich mit der Angst, und laut jammernd lief sie zu Freunden und Bekannten, um ihnen ihr Dilemma kundzutun. Aber sie glaubten ihr einfach nicht. 5000 Kronen, mach keine Witze! Nachdem es ihr endlich gelungen war, sie zu überzeugen, sagten sie nur hilflos: „Aber du kannst ja doch eine Menge absetzen?“ Was denn absetzen, wunderte sich Pomperipossa. Was ich absetze, ist doch Geld, das ich schon ausgegeben habe. Was ich absetze, kann ich doch nicht mehr aufessen wie einen Salzhering. Ohne Trost gefunden zu haben, ging Pomperipossa heim und setzte sich in eine dunkle Ecke, um zu grübeln und nachzudenken. Woher krieg ich nur mein täglich Brot, dachte sie. Vielleicht kann ich ja wie die Armenhäusler von Anno dazumal herumwandern und mir mal hier und mal da eine Mahlzeit zusammenschnorren. Vielleicht kann ich ja auch die weisen Männer aufsuchen und an ihre Tür klopfen, womöglich erbarmen sie sich meiner und geben mir mal ab und zu einen Teller Suppe, und spendieren sie dafür ein paar von diesen 1 995 000 Kronen, dann kann die Suppe sogar recht kräftig werden, am Ende legen sie reineweg ein Würstchen hinein? Doch nicht einmal der Gedanke an das Würstchen tröstete sie.
Immer düsteren Sinnes wurde Pomperipossa. Jetzt ging ihr auf, dass Bücherschreiben etwas Abscheuliches und Schändliches sein musste, sonst würde man es ja nicht so hart bestrafen. Es gab außer ihr ja andere freie Unternehmer. So gab es in Monismanien beispielsweise Ärzte und Zahnärzte und Rechtsanwälte, und sie alle hatten sich wohl flugs ausgerechnet, dass sie umso weniger verdienten, je mehr sie arbeiteten, und hatten sich deshalb entschlossen, schlankweg auf alle Gallensteine und schmerzenden Weisheitszähne, alle Ehescheidungen und Grundstücksgeschäfte der Monismanier zu pfeifen, zumindest ein, zwei, drei, vier, fünf Tage lang in der Woche. Und das erklärte ja auch, warum die Monismanier jetzt so viel übler dran waren als früher, wenn sie Bauchgrimmen oder Zahnweh bekamen oder einen Anwalt brauchten, der sie beim Kauf eines alten, bis über den Schornstein verschuldeten Hauses beriet. Denn, so hatte Pomperipossa gehört, Schulden seien der beste Kniff, um die Prozente von 102 bis auf fast null herunterzudrücken. Als Pomperipossa in ihren Überlegungen so weit gekommen war, seufzte sie. Wieso hatte sie selber gar keine Schulden? Ach, meine teuren Eltern, warum habt ihr mich gelehrt, Schulden seien etwas Verwerfliches, etwas, das man nicht haben darf? Hier sitze ich nun völlig schulden- und schuldlos und habe nichts weiter als diese verflixten Einkünfte, die mich arm wie eine Kirchenmaus machen! Abschreibungen aber wurden im Leib- und Magenblatt der weisen Männer als Steuerhinterziehung dargestellt. Dort erschienen lange Listen darüber, wie viel die Leute verdienten und wie ungeheuer viel sie absetzten. Aber natürlich war der Platz in der Zeitung begrenzt, und darum war nie eine Spalte frei, um bekannt zu geben, wie viel Steuern die Leute zahlten, von 102 Prozent oder Derartigem war da nirgends die Rede. Nein, aber alle Abschreibungen wurden genauestens aufgeführt. Da sieht man’s mal wieder, dachten die empörten Leser, diese reichen Knilche, was für Spesen die für ihren Sekt und Kaviar und ihr ganzes Lotterleben machen dürfen!
In der guten alten Zeit, dachte Pomperipossa, als die Marginalsteuer höchstens 83 Prozent betragen hatte, da hatte es auch etwas gegeben, das „fortlaufende Unterstützung“ hieß. Das bedeutet: Wenn man über des Lebens Notdurft hinaus noch etwas Geld übrig und zudem weniger gut gestellte Angehörige oder Freunde hatte, dann konnte man ihnen eine fortlaufende Unterstützung zukommen lassen. Derartige Unterstützungen durfte man dann in seiner Steuererklärung absetzen, und allein deshalb war es möglich, sie zu gewähren. Der Wohlstandskuchen bekam ja ohnehin sein angemessenes Teil davon ab, da der Unterstützungsempfänger den Betrag, den er erhielt, zu versteuern hatte. Aber eines schönen Tages begannen sich die Haare der weisen Männer aufs Neue zu sträuben. Vielleicht war ihnen etwas von einem monismanischen Sohn mit einigermaßen zufriedenstellenden Einkünften zu Ohren gekommen, der seiner armen alten Mutter 25 000 Kronen jährlich Unterhalt zahlte, damit sie annähernd so leben konnte wie er selber, pfui, pfui, das sei abscheulich und schändlich, fanden die weisen Männer. Dem werden wir sofort einen Riegel vorschieben! Und das taten sie. Was ist bloß in sie gefahren, dachte Pomperipossa in ihrer dunklen Ecke. Sind dies wirklich die weisen Männer, die ich so hoch geschätzt und bewundert habe? Was wollen sie damit denn erreichen, was erstreben sie – einen Staat, so verpfuscht und unmöglich wie nur möglich? O du reine, blühende Sozialdemokratie meiner Jugend, was haben sie aus dir gemacht, dachte sie (denn jetzt wurde sie ein wenig pathetisch), wie lange noch soll dein reiner Name dazu missbraucht werden, einen eigenmächtigen, bürokratischen, ungerechten, bevormundenden Staat zu schützen? Sie hatte geglaubt, in einem demokratischen Land solle das Recht aller gewahrt werden. Die Menschen sollten nicht bestraft und verfolgt werden, nur weil sie auf ehrliche Weise – gewollt oder ungewollt – zufällig Geld verdienten.
Aber soweit Pomperipossa es überschauen konnte, geschah jetzt genau das. Was ist das bloß, so dachte sie, für ein seltsamer, säuerlicher, Neid geschwängerter Mief, der sich auf ganz Monismanien gelegt hat, und warum sagt niemand laut und deutlich seine Meinung: So kann es nicht weitergehen, denn dann ist es aus mit aller Unternehmungslust in unserem Lande, und dann sind bald keine freien Unternehmer mehr da, die man besteuern kann.
Zu diesem Zeitpunkt überkam Pomperipossa das Gefühl, sie habe es selber dringend nötig, kuriert zu werden, und zwar auf der Stelle. So schwer und schmerzhaft war es nämlich, an dem Staat zweifeln zu müssen, den sie bisher für den besten in der Welt gehalten hatte. Mehr und mehr verdichteten sich die Schatten um sie, und wieder dachte sie an die 5000 Kronen, die ihr zum Leben blieben. Ich Ärmste, dachte sie, warum bin ich nicht eine Rentnerin ohne auch nur die Spur von anderen Einkünften, wie reich wäre ich dann nicht im Vergleich zu jetzt! Doch da durchzuckte es sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel – Menschenskind, du musst ja Wohlfahrtsunterstützung kriegen können. Oh, dieser wunderbare Gedanke! Mit neu erwachter Hoffnung setzte sie sich hin und schrieb an den Reichsschatzmeister, um anzufragen, wie viel sie zu erwarten habe. Na also, sagte sie sich dann, ich wusste doch, dass es eine Lösung gibt, wenn ich nur richtig nachdenke! Denn es ist doch wohl trotz allem der beste Staat der Welt? Oder …? Oder etwa nicht? Diese Frage muss ich wohl offen lassen, dachte sie dann. Und von nun an lebte die Wohlfahrtsempfängerin Pomperipossa glücklich bis ans Ende ihrer Tage. Irgendwelche Bücher schrieb sie nie wieder.
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