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Einen Puller wie Mama

Oft habe ich mir gewünscht, mich mit Phillip mal richtig unterhalten zu können. Zwei Jahre lang habe nur ich gesprochen. Ich habe Dinge gesagt wie: „Na, da ist die Windel ja schon wieder voll. Ja, ganz voll ist die Windel.“ Oder: „Ja, da hat der Papa ganz leckere Nudeln gemacht. Lecker, lecker Nudeln.“ Manchmal hat Phil „Nudeln“ gesagt, oder „Papa“, aber mehr eben nicht.

Das ist jetzt anders. Seit ein mehr als einem Jahr spricht Phillip. In ganzen Sätzen, den ganzen Tag. Und er stellt viele Fragen.„Warum brennt Holz denn eigentlich?“, „Warum läuft Phoebe so komisch und fällt immer um?“, „Warum wird jetzt Herbst?“, „Warum muss man von Zwiebeln pupsen?“ Ebenso schnappt er Dinge auf und gibt sie ungefiltert, verhackstückelt oder zu einem unpassenden Augenblick an seine Umwelt zurück.

Die oft daraus entstehende Situationskomik hat schon sehr oft meine Lachmuskeln beansprucht. Ich habe fast mein Essen über den Tisch geprustet, als Phillip einmal sagte: „Kannst du mir bitte noch etwas Somatentoße über meine Schkabettis gießen?“ Was habe ich mich köstlich über den Gesichtsausdruck meiner Schwiegereltern amüsiert, als er bei einem Besuch von Oma und Opa am Kaffeetisch lautstark verkündete: „Phillip hat einen Pullermann, Hanna hat einen Busch.“

Die Mama von Phillips bester Freundin Hanna ist Hebamme. Wahrscheinlich gerade deshalb fällt es ihr nicht schwer, brisante Fragen kindgerecht zu beantworten. Schließlich lassen viele werdende Eltern ihr Gehirn vor dem Kreissaal. „Rationales Denken, du bleibst draußen!“.„Busch“ wäre bei einem solchen Gespräch zwischen Phil und mir definitiv nicht in die engere Begriffsauswahl gekommen. Um es mit den Worten von Dieter Bohlen zu kommentieren: „Busch, du klingst zwar ganz nett, aber ’nett‘ ist die kleine Schwester von ’scheiße‘!“

Aber wie führt man solche Gespräche mit kleinen Kindern? Warum ist alle Welt so spießig, wenn es um das Thema Sexualität geht? Jeder tut es, aber keiner redet darüber. Es ist schön, aber ein Tabu. Alle reagieren peinlich berührt, wenn ein Kind solche Fragen stellt. Die Geschlechtsteile heißen Penis und Vagina! Aber diese Verniedlichung, das Drumherumreden und das Schweigen muss wohl sein, in einer Zeit, in der man aufpassen muss, wem man erzählt, dass man Sonntagabend mit den Kids in der Badewanne war. Sonst kann ja offensichtlich schnell mal passieren, dass das Jugendamt wegen Verdachts des sexuellen Missbrauchs vor der Tür steht…

Zurück zum Redekönig. Neuliche Begebenheit ließ die Situationskomik doch etwas einfrieren, weil eben nicht alle so unbefangen mit ihren Kindern reden.

„Papa, wenn ich groß bin, habe ich auch einen Puller, wie Mama.“

„Mama hat keinen Puller, weil Mama ein Mädchen ist. Nur Jungen haben einen Puller.“

„Papa ist ein Junge.“

„Ja, Papa ist ein Junge.“

„Papa hat einen Puller, wie Mama.“

„Aber Mama hat doch keinen Puller.“

„Warum nicht?“

„Weil Mama ein Mädchen ist.“

„Warum ist Mama ein Mädchen?“

Schon wird es schwierig. Wie soll man einem Vierjährigen die Fortpflanzungslehre erklären? In unserem Erziehungsbuch steht, dass man Kinder nicht belügen darf. Man muss ihnen die Dinge immer so erklären, dass sie dem Alter angemessen verständlich werden.

„Es gibt Babys, die haben einen Puller. Das sind die Jungen. Und es gibt Babys, die haben eine Muschi, das sind die Mädchen. Mama ist ein Mädchen.“

„Aber Mama ist kein Baby.“

„Nein, aber Mama war auch mal ein Baby, wie du.“

„Und wie Papa.“

„Ja, Papa war auch mal ein Baby, aber mit einem Puller.“

Am nächsten Morgen brachte ich Phillip in den Kindergarten. Er lief zu seiner Erzieherin Britta und sagte: „Mein Papa hat einen Puller, wie Britta.“ Britta sah mich an, so wie sie mich sonst nur ansieht, wenn ich die Hausschuhe von Phillip vergessen habe. Ich erklärte, dass wir über den Unterschied zwischen Jungen und Mädchen gesprochen haben. Britta versuchte ein Lächeln. „Britta ist ein Mädchen“, sagte Phillip. „Ja“, sagte ich. Was sollte ich auch sagen? Dass Britta keinen Puller hat? Die Situation drohte zu entgleisen. Ich verabschiedete mich schnell.

Als ich Phillip am nächsten Tag in die Kita brachte, rief mich Britta zu sich. Sie sagte, dass Phillip dem kleinen Oskar mindestens dreimal am Puller gezogen hat. Vielleicht wollte er sichergehen, dass Oskar auch wirklich ein Junge ist. Wer weiß das schon. Britta riet mir, bestimmte Gespräche einfach ein paar Jahre später zu führen. Sie berichtete von einer gewissen Unruhe in der Gruppe. Außerdem hätten sich die Eltern von Oskar beschwert, weil der nun immerzu von seinem Puller spricht. Sie riet mir, bei heiklen Fragen einfach das Thema zu wechseln.

Zwei Tage später fragte mich Phillip, ob ich ein Junge bin. Ich versuchte, das Thema zu wechseln und sagte, dass es zum Abendbrot Fisch gibt. Phil fragte, ob Fische auch einen Puller haben. Ich dachte an Britta. Und an den kleinen Oskar. Ich hatte Angst.

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