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Doppelmoral in Dur und Moll

Vicky Leandros liebt das Leben – nur nicht jede Lebensform. Jedenfalls nicht die, die sich politisch jenseits ihres Werte-Reservats bewegt. Da sitzt sie also in Regensburg auf ihrer moralischen Zinne und verkündet: Alice Weidel ist – obwohl eingeladen von der Gastgeberin – bei ihrem Konzert unerwünscht. Zack – gestrichen von der Gästeliste, als hätte sie nie existiert.

Das erinnert an eine Zeit, die Leandros eigentlich aus eigenem Erleben kennen müsste. Zu DDR-Zeiten gab es für Künstler eine einfache Wahrheit: Wer auf die Bühne wollte, musste Haltung zeigen. Nicht die eigene, sondern die gewünschte. Das Ministerium für Kultur war das Nadelöhr – nur wer dort als „zuverlässig“ galt, durfte auftreten. Wer ein Publikum wollte, musste die Parolen der SED singen – im übertragenen wie im wörtlichen Sinn. Die Zulassungskommission entschied, ob ein Lied „gesellschaftlich förderlich“ war. Texte, die „Missmut säten“, waren zu streichen. Künstler, die sich nicht beugten, verschwanden von den Plakaten. DDR-Künstler, die nicht artig den roten Schal schwenkten, deren Texte nicht vollgesogen waren mit „gesellschaftlicher Verantwortung“, wurden damals schlicht aussortiert. Sie bekamen keine Bühnen mehr, keine Ausstellungen, kein Publikum. Wer keinen Knicks vor dem Regime machte, der durfte höchstens noch im Wohnzimmer auftreten – für die Nachbarn. Wolf Biermann, Nina Hagen, Manfred Krug – sie alle erfuhren am eigenen Leib, was es heißt, wenn die Partei beschließt: Dieser Kulturschaffende ist nicht mehr Teil der Öffentlichkeit.

Und jetzt? Wieder entscheidet ein Gesinnungstest, wer dabei sein darf und wer nicht. Mit anderen Vorzeichen, aber gleichem Muster: Anpassung oder Ausladung.

Leandros‘ Begründung: Ihre Werte – Vielfalt, Toleranz, Demokratie – seien unvereinbar mit Weidels Politik. Das klingt so schön, so moralisch. Aber es ist im Kern dasselbe Muster wie damals: Haltung wird zur Eintrittskarte, Abweichung zum Delikt. Sie sagt, sie wolle keine „Polarisierung“ in ihrem Konzertsaal. Aber Polarisierung beginnt nicht mit der Person, die zuhören will – sie beginnt mit demjenigen, der sie ausschließt. Wer Toleranz predigt und Andersdenkende aussperrt, zeigt vor allem eines: Dass „Toleranz“ in dieser neuen Einheitskultur ein Einbahnstraßenschild ist.

In der DDR hieß das Zauberwort „Linientreue“. Heute nennt man es „Haltung“. Der Unterschied ist kleiner, als viele glauben. Vielleicht sollte Vicky Leandros ihren alten Hit umschreiben:


„Ich liebe das Leben – aber nur mit der richtigen Haltung™.“

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