Nun hat es also in Frankreich wieder Anschläge gegeben. Trotz aller Überwachung, Vorratsdatenspeicherung und weiterer Gängelung der demokratischen Grundrechte. Es heißt „nous avons Paris“. Aber ich bin nicht Paris. Ich bin in erster Linie erst einmal Mensch. Deshalb finde ich es heuchlerisch, dass jetzt ein Aufschrei durch die westliche „Zivilisation“ geht. Eine Verurteilung des achso unmenschlichen Terrors, direkt vor der Haustür. Plötzlich sind alle Paris, wie sie vor einem halben Jahr Charlie gewesen sind. Plötzlich hat wieder gefühlt jeder in den sozialen Netzwerken eine französische Flagge im Profilbild. Mir stellen sich ganz klar die Fragen, wo sind die Flaggen der Länder, die den westlichen Terror ertragen müssen? Warum sind wir nicht Syrien? Warum sind wir nicht Palästina, Lybien, Ukraine, Irak, Turkmenistan oder Afghanistan? Ist es zweitrangig, dass dort jeden Tag Kinder, Frauen und Männer sterben? Sind das Menschen zweiter Klasse?
Wir erleben jedoch einen Terror, den wir doch selbst so bereitwillig in den Nahen Osten, nach Asien und Afrika exportieren. Ist es ein anderer Terror, wenn wir unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den Terror ganze Landstriche destabilisieren, wenn unsere Freiheit bereits am Hindukusch verteidigt wird, wenn wir völkerrechtswidrige Kriege logistisch und populistisch unterstützen? Es ist in Ordnung, wenn wo anders unschuldige Zivilisten sterben, so lange es nicht in good ol‘ Europe passiert? Es ist in Ordnung, wenn geduldet wird, dass vom deutschen Boden, von dem nie wieder Krieg ausgehen sollte, Drohnenangriffe der USA koordiniert und ausgeführt werden? Ohne jedes Mandat? Ohne Mitspracherecht und gegen den Willen des wählenden Volkes?
Scheinbar ist es das. Ansonsten würden seit Jahren laute Aufschreie durch das Land gehen. Demonstrationen wären an der Tagesordnung. Es gäbe zivilien Ungehorsam, wie ihn das Grundgesetz für den Fall vorsieht, dass die Staatsgewalt nicht mehr vom Volke ausgeht (vgl. Art 20 Abs. 4 GG). Da dies nicht passiert, gehe ich doch einmal ganz stark davon aus, dass der abgestumpfte Michel mit dem konform geht, was unsere Politmarionetten da oben verzapfen. Aber neben Daily Soaps, Fußball-was-auch-immer-Meisterschaften und Dschungelcamp ist wenig Zeit für politisches Interesse, Humanismus und Empathie. Wir sind ein Volk von „Ich bin ja kein Nazi, aber“-Sagern geworden. Wir laben uns am globalen Kapitalismus. Wir genießen die Vorzüge, die uns die Ausbeutung anderer Länder bringt. Wir erfreuen uns an Frieden und Wohlstand und sprechen es Dritte-Welt-Ländern nicht zu, wenn es unseren wirtschaftlichen Interessen zuwider läuft.
Wie schrieb Stéphane Hessel damals so schön? „Empört Euch!“ Aber bitte nicht nur über die feigen Anschläge von Paris! Empört Euch auch nicht über die bösen Flüchtlinge, die Euch Arbeit und Sozialleistungen wegnehmen! Empört Euch über die Divide-et-impera-Attitüden der westlichen Regierungen. Empört Euch über internationalen Finanz-Kapitalismus und lobbyistische Klientelpolitik. Empört Euch über deutsche Waffenexporte. Empört Euch über Drohnenkriege, die von deutschem Boden ausgehen. Empört Euch über die Weigerung Amerikas, sich dem internationalen Strafgerichtshof zu unterwerfen. Aber bitte empört Euch nicht nur, wenn wir die Folgen unseres (Nicht-) Handelns zu tragen haben.
In Paris sind nach aktuellen Schätzungen mehr als 150 Menschen gestorben. Das ist traurig – ja. Das ist schrecklich – definitiv. Ist es verwunderlich? Mitnichten. Auch anderen europäischen Ländern einschließlich Deutschland wird dieser Terror blühen. Wir exportieren ihn ja bereits seit Jahrzehnten fleißig.
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