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Ein Europa ohne Nato?


Ich bin geplättet! Nun ist sie da, die Sensation. Und nur die Minderheit erkennt die Bedeutung zwischen all den Schlagzeilen von Terror und Flüchtlingsströmen. Frankreich ruft den innereuropäischen Bündnisfall aus und zeigt damit offen sein Misstrauen gegenüber der NATO. Fakt ist, dass Artikel 42 Absatz 7 erstmalig in der Geschichte des geeinten Europas aufgerufen wird. Ein Novum in mehreren Richtungen. Der Bündnisfall verpflichtet die europäischen Partner zu Hilfe und Unterstützung im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Natürlich im Einklang mit Artikel 51 der UN-Charta, der besagt, dass zwar das Recht auf Selbstverteidigung im Angriffsfall gegeben ist, aber jederzeit Maßnahmen zu erfolgen haben, die zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlich sind.

Stellt sich einem nicht als erstes die Frage,  warum Frankreich nicht den NATO-Bündnisfall ausruft? Geht man in der Geschichte Frankreichs nur ein paar Jahrzehnte zurück, stellt man fest, dass schon Charles de Gaulle der NATO misstraut hat und durchsetzte, dass Frankreich über viele Jahre eben nicht Mitglied des Transatlantischen Verteidigungsbündnisses war. Zum einen war de Gaulle der Meinung, dass Frankreich über 10 Jahre nach Ende des zweiten Weltkriegs wieder auf eigenen Beinen stehen konnte, als „Grande Nation“ wieder zu seiner Unabhängigkeit gelangen und sich von der Kommandantur der Vereinigten Staaten lösen sollte. Sicherlich spielte aber auch die massive Zerstörung Frankreichs durch amerikanische Truppen im WW2 und auch die Aussicht auf eigene Atomwaffen und der damit einhergehende Aufstieg zur Atommacht eine ausschlaggebende Rolle, aber das steht auf einem anderen Blatt. Fakt ist Charles de Gaulle löste Frankreich vorsichtig aus diesem Militärbündnis.

In den letzten Monaten dürfte es unübersehbar geworden sein, dass die USA im Nahen Osten ein falsches Spiel spielen. Abgesehen vom allgemeinen westlichen (seit 14 Jahren widerlegten) Trugschluss, dass militärische Intervention jeglichen Terror zurückdrängen, zeigte uns der Friedensnobelpreisträger Obama, dass die ach so überlegene amerikanische Luftwaffe offensichtlich nicht in der Lage ist, den IS auch nur einen Zentimeter zurückzudrängen oder einzuschränken. Dann kam der böse Russe… Blöd nur, dass Wladimir Putins Eingreifen in Syrien zumindest völkerrechtskonform ist, im Gegensatz zu allen anderen Nationen, die militärisch vor Ort vertreten sind. Ebenso dumm ist, dass Russland den IS innerhalb weniger Wochen scheinbar empfindlich trifft.

Der böse Russe hat erreicht, dass ein Umdenken bei allen beteiligten Parteien stattfindet. Er hat es sogar geschafft, den Iran, Saudi Arabien und die USA an einen Tisch zu zwingen. Noch erstaunlicher ist, dass bei diesen Konferenzen nicht nur leere Worthülsen kreiert wurden, sondern innerhalb kürzester Zeit Ergebnisse kommuniziert wurden. Sogar die USA geben – wenn auch zögerlich und kleinlaut – klein bei und stimmen zu, dass Assad eben nicht durch andere Staaten gestürzt werden darf. Sollten die Amerikaner jetzt dem syrischen Volk noch das demokratische Recht zugestehen, über seine Regierung und seine Zukunft selbst zu bestimmen, wäre das eine noch größere Sensation. Es bleibt also spannend auf der syrischen Bühne. Aber offensichtlich ist, dass das gebetsmühlenartig runtergeleierte Mantra „Assad muss weg“ der Erkenntnis gewichen ist, dass nur mit dem syrischen Machthaber eine Beendigung der IS-Morde und ein weiteres Erstarken der islamischen Radikalisierung zu erreichen ist.

Vielleicht sehen wir in diesem Gebahren die Erkenntnis, dass ein weltbekannter deutscher Physiker einst mit dem Satz „Probleme können niemals mit derselben Denkweise gelöst werden, durch die sie entstanden sind“  mehr als Recht hatte. Es wird scheinbar auch den loyalsten Transatlantikern klar, dass die USA die Verantwortung für das Chaos rund ums Mittelmeer tragen und auch die Verantwortung  für ihr Handeln übernehmen müssen. Es erscheint in der aktuellen Situation wenig sinnvoll, weiterhin darauf zu warten, bis die USA das von ihnen verursachte Morden beenden. Natürlich ist die neue Linie der Amerikaner zu Syrien nicht dem moralischen Wandel geschuldet, sondern dem Umstand, dass Russland der Welt aufzeigt, wie gegen Terroristen vorgegangen werden muss, sollte man Erfolge erzielen wollen.

Die Brutalität der Terroranschläge in Paris haben Europa stark erschüttert. Unser aller Söderlein hat ja auch völlig erschüttert in den Äther getwittert, dass Paris alles ändert. Sicherlich wollte er ein wenig am rechten Rand fischen und die bösen moslemischen Flüchtlinge an der Grenze stehenlassen, aber in einem Punkt stimme ich mit ihm überein, Paris ändert alles! Es wird dafür sorgen, das weitere Europäer aus ihrer Lethargie erwachen und erkennen, dass Washingtons Interessen nichts, aber auch rein gar nichts mit denen der Europäer gemein haben. Monsieur Hollande hat nun offenbar die Konsequenzen gezogen und Herrn Obama und seinen Kriegsministern eine schallende Ohrfeige verpasst. Etwas, wozu unsere Mutti ja scheinbar nicht in der Lage ist. Wie als nicht so muss es interpretiert werden, wenn Frankreich die Unterstützung der NATO verschmäht und eine Allianz mit Russland präferiert? Denn genau das impliziert der Ruf nach innereuropäischer Untertützung. Nur so hat Frankreich die Möglichkeit mit Russland zusammen zu arbeiten und sich der nervigen, rethorisch einseitigen Intervention aus Übersee zu entziehen. Die Aufhebung der europäischen Sanktionen werden als nächstes passieren. Garantiert!

Ich interpretiere die Anschläge des IS in Paris als Zeichen der Schwäche – des IS. Russland hat durch seine Intervention den IS innerhalb weniger Wochen in eine prekäre Situation gebracht. Die Terrormiliz wird von der syrischen Armee mit Unterstützung Russlands verjagt. Und mit ihm muss auch die USA mittelfristig aus Syrien weichen. Sie evakuieren mittlerweile bereits mit Hilfe Saudi Arabiens und der Türkei ihre IS-Kämpfer Richtung Jemen. Ja, ein weiterer Kriegsspielplatz der uns ebenfalls in naher Zeit noch in Atem halten wird. Die Bomben Sicherungsmittel zur Stabilisierung der Region für die Saudis sind ja schon vertraglich geregelt. Die Munitionsvorräte des IS sind größtenteils zerstört, die Kommandozentralen vernichtet. Frankreich fliegt nun Angriffe gegen wirkliche Ziele – in Raffa zum Beispiel – anstatt nur alte Bomben in der Wüste zu entsorgen. Es greift strategisch wichtige Ziele an und versucht endlich auch, die Finanzflüsse des IS durch Ausschalten der Ölkonvois auszutrocknen. Und – welch ein Wunder –  plötzlich melden sogar die Amerikaner, dass sie Konvois von Tanklastwagen zerstört haben. Warum erst jetzt? Der angeblich schwerfällige, russische Bär hat den Adler düpiert. So lange Amerika allein seine Kriegsspielchen durchführen konnte, konnte es stets behaupten, es ginge nicht besser und die USA täten alles in ihrer Macht stehende. Dann zeigen die angeblich militärisch unterentwicklten Rotarmisten, dass es eben doch effektiver geht. Vielleicht unterstelle ich Amerika ja auch nur fälschlicherweise den fehlenden Willen, diesen Krieg endlich zu beenden zugunsten der profitablen Kriegsmaschinerie und sie können es wirklich nicht besser. Dann allerdings wäre die Neuorientierung Richtung Russland nur noch umso verständlicher. Schließlich hat Frankreich und mit ihm die gesamte europäische Staatengemeinschaft ein echtes Interesse am Ende des Krieges und des Terrors und muss sich eine eigene aber kompetente und am Völkerrecht orientierte Koalition der Willigen schmieden. Und man sollte sich für Partner suchen, die wirklich helfen wollen – und es auch können.

Hollande bemerkte bereits direkt nach den Anschlägen, er wüsste, wer für die Greuel verantwortlich wäre. Sicherlich meinte er in Erinnerung an den Anschlag auf Charlie Hebdo die Terrormiliz, aber vielleicht gingen seine Gedankenspiele auch noch in eine andere Richtung. Auf jeden Fall ist es äußerst bemerkenswert, dass der französische Präsident eine militärische Zusammenarbeit mit der von der USA befehligten NATO gar nicht erst in Betracht zieht, sondern unverzüglich eine Unterstützung durch Europa und Russland präferiert. Hinzu kommt, dass man europaweit nicht mehr wirklich ignorieren kann, in welchem Ausmaß Washington auch für die anderen Farbenrevolutionen, das braune Vakuum in der Ukraine und die militärischen Verwicklungen dort verantwortlich ist. Ebenso, wie inzwischen beim Letzten angekommen sein dürfte, dass die Sanktionen gegen Russland primär die europäische Wirtschaft treffen, während der große Bruder aus Übersee weiterhin gute Geschäfte mit dem Geächteten macht.

Es bleibt zu hoffen, dass die Ausrufung des europäischen Bündnisfalls durch Frankreich eine tiefe Zäsur in der internationalen Politik darstellt. Wir dürfen dem Transatlantischen „Verteidigungs“bündnis nicht mehr trauen! Es ist bekannt, in welchem Ausmaß der NATO-Partner Türkei den IS unterstützt, den Syrern gestohlenes Öl als Hehlerware weiterveräußert und aktuell Europa mit den Migrantenströmen erpresst. Wer über den Tellerrand hinausschaut, erkennt, dass Russland keineswegs als Aggressor im Nahen Osten agiert. Auch macht es strategisch nicht wirklich Sinn, das größte Territorium der Welt, was auch noch reich an Bodenschätzen ist, gegen den Widerstand der restlichen Welt mit militärischen Mitteln auszuweiten. Ebenso wissen wir, dass die USA mit ihren mehr als 1.000 Militärbasen weltweit bestrebt sind, ihre „Pax Americana“ dem Rest der Welt aufzuzwingen. Der Rest der Menschheit darf zusehen, wie die Bestrebungen Amerikas weite Teile der restlichen Welt zerstören – und nein, die westlichen Demokratien sind bei weitem nicht der Rest der Welt. Warum handelt Washington so? Es hat den Anschein, dass Amerika nicht allein untergehen möchte.

Betrachtet man die aktuelle Situation realistisch, stellt sich folgendes Bild da: Während überall auf der Welt trotz Banken- und Wirtschaftskrisen rasante Fortschritte zu beobachten sind, besonders in den BRICS Staaten, ist der progressive Verfall der Vereinigten Staaten unübersehbar. Ganze Städte gehen in die Insolvenz, die staatliche Infrastruktur ist landesweit in einem jämmerlichen Zustand. Fast 15% der amerikanischen Bevölkerung leiden lediglich keinen Hunger, weil sie von Lebensmittelmarken leben. Die USA sind nun einmal der größte Schuldner der Welt. Sie sind dermaßen pleite und es nirgends auch nur ein Hoffnungsschimmer am Horizont zu sehen, außer natürlich, die heimische Wirtschaft wieder mit neuen, großen, langen Kriegen aufzupäppeln. Und das soll das humane und demokratische Modell für die Heilung dieser schon arg mitgenommenen Welt sein?

Seit nunmehr zwei Jahren arbeiten die BRICS Staaten – allen voran Russland und China – daran, die Dominanz des Dollars aufzubrechen. Denn diesen nutzt Amerika, um die restliche Welt auszubeuten. Ob Ölgeschäfte, Waffenhandel oder Unterstützung von „gemäßigten“ Terroristen, der Handel läuft überwiegend in Dollar ab. Und die Amerikaner wissen es sicherlich selbst: Ist der Dollar nicht mehr die Weltwährung, ist Schluss mit Glanz und Gloria des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten. Keine gekauften Parlamente, Revolutionäre und Söldner mehr. Amerika steht mit dem Rücken zur Wand und beißt mit schäumendem Maul um sich, wie ein tollwütiger Hund, der vor seinem Infarkt noch schnell möglichst viele beißen möchte. Die USA wissen, dass die Russland – inbesondere bei einem Schulterschluss mit China – militärisch weit unterlegen sind. Das ist natürlich mit ein Grund, warum Obama auf der Wiener Konferenz so plötzlich von seinem Kurs abweicht, der den kompletten Nahen Osten destabilisiert und Europa so in Bedrängnis gebracht hat. 

Es wird Zeit, dass sich Europa emanzipiert. Frankreich hat erkannt, dass Europa die NATO nicht mehr braucht und das bereits 1990, nachdem die Sowjetunion in den Wirren der Perestroika niederging. Wenn Russland nicht unser Feind ist, gegen wen sollte uns die NATO dann „verteidigen“? Mit der Ausrufung des europäischen Bündnisfalls tut Frankreich folgerichtig das, was Deutschland offensichtlich nicht darf oder kann: Die europäische Gemeinschaft auffordern, seine Interessen selbständig zu vertreten, ohne die NATO. Die jetzt begonnene militärische Zusammenarbeit mit Russland lässt die Hoffnung aufkeimen, dass Frankreich erkannt hat, wie Europa das Ruder noch rumreißen kann. Nur aus Basis einer friedlichen Zusammenarbeit in einem eurasischen Wirtschaftsraum und der Implementierung einer humanen Marktwirtschaft haben wir die Chance, den humanistischen Anspruch Europas wieder zu einem Gegengewicht des menschenfeindlichen Imperialismus werden zu lassen, ganz egal, wie sehr auch immer Washington dagegen intrigiert. Wofür wurde denn Anfang des neuen Jahrtausends eine „schnelle Eingreiftruppe“ in Europa installiert? Damit wir auf Herausforderungen, wie wir sie jetzt in Syrien erleben, reagieren können. Gegen Russland brauchen wir sie offensichtlich nicht. Die Zeiten des guten Kapitalisten gegen den bösen Kommunisten sind längst vorbei. 

Was bei dem ganzen Thema nicht übersehen werden darf ist, dass das destruktive Verhalten der USA nur ermöglicht wird, weil sich der Rest der Welt dem amerikanischen Finanzdiktat nach wie vor beugt und der Spur des Geldes folgt. Wenn es also wirklich unser Wunsch ist, den so oft zitierten Weltfrieden zu verwirklichen, bleibt uns nur der Abschied vom Zeitalter des Turbokapitalismus mit starker amerikanischer Prägung. In Kombination mit den Thesen der vorherigen Artikel, der Rückbesinnung auf gemeinschaftliche Werte, Familie, Humanität, Toleranz und vor allem Empathie ist das zwar ein langwieriger Weg, aber es ist machbar. Wenn die deutsche Politik schon nicht das Rückgrat hat, dem amerikanischen Präsidenten die Stirn zu bieten sollten die ersten Schritte für Deutschlands folgende sein: Wir dürfen uns nicht nicht mehr mitschuldig machen, in dem wir das US-Militär mitfinanzieren, deren völkerrechtswidrige Drohnenkriege unterstützen und selbst der weltweit drittgrößte Waffenexporteur bleiben.

Es ist fünf vor zwölf. Bleibt zu hoffen, dass Hollande mit dem ersten Schritt weg von Amerika hin zu Europa einen Stein ins Rollen bringt und endlich jemand an der Uhr dreht.

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