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Europa schafft sich ab.

Europa geht zugrunde. Zumindest erscheint einem das aktuell so. Der Terror schluckt die so lieb gewonnen, viel beschworenen Werte wie Menschenrechte, Solidarität, Nächstenliebe und Toleranz. Errungenschaften für die wir der Nachkriegsgeneration nicht genug danken können. Ich bin froh, dass meine Kinder heute mit 11 und 8 Jahren noch nicht wissen, was Krieg, Flucht und Unterdrückung heißt. Ich bin froh, dass sie weit weniger Indoktrination in der Schule erleben, als es meine Generation noch tat. Ich bin froh ob der Freiheit der Informationsbeschaffung die das Internet und die soziale Vernetzung heute bietet und sah schon den Messias der globalen Gemeinschaft emporsteigen, besonders in den Millenniumsjahren als Europa im Freudentaumel des Zusammenschlusses Großes verhieß. Ein Zusammenschluss aus Nationen, die große Perönlichkeiten hervorgebracht hat. Seien es Beethoven, Luther, Einstein, Shakespeare, Curie, Mozart, Goethe, Schiller, Loriot, John Lennon, Kopernikus, Bach, Newton, Bismark, Napoleon oder gar der Alte Fritz. Kluge Köpfe, Menschen die etwas bewegt haben, Philosophen, Feingeister, Grübler, Weltverbesserer. Der europäische Gedanke verhieß nach zwei Weltkriegen, einem jahrzehnte dauernden Wiederaufbau, nach kaltem Krieg und Wiedervereinigung wirkliche Einigkeit, wirkliche Solidarität, Integration und Empathie. Dass zusammenwächst, was eine gemeinsame, aufwühlende Geschichte besitzt. Was für ein Trugschluss. Aufgrund vieler Fehlentscheidungen und Versäumnisse steigen nun die längst ins Vergessen geratenen Gespenster Nationalismus, religiöser Fanatismus und sogar Faschismus wieder aus ihren Gräbern und überziehen den Kontinent mit ihrem stinkenden Nebel.
 
Verwundert es? Wohl kaum. Angesichts des fehlenden investigativen Qualitätsjournalismus‘, der fehlenden Bereitschaft der Politik, auf die Wünsche und Ängste ihrer Bürger einzugehen, der Amerikanisierung und der damit einhergehenden Verrohung der Medienlandschaft, dem Totsparen in Bildung, Kultur und Sozialem, der Abstumpfung gegenüber gesellschaftlichen Krisen und menschlichen Schicksalen und dem sinnlosen Überfluss an unwichtigen, nicht nachhaltigen Konsumprodukten ist das Schrumpfen des persönliche Horizont auf ein Maß des zu bewältigenden Alltags und die kontinentale geistige Verschmutzung erklärbar. Es ist kein Vorwurf und es ist – wieder mal – pauschalisierend, aber meiner Meinung nach in weiten Teilen nicht abzustreiten. Wir erleben anhand von Flüchtlingskrisen und Bürgerkriegen in Nahost und Afrika den Rückfall Europas in nationale Egoismen und widerliche Polemik. So ist es inzwischen ja sogar salonfähig, als Innenminister der Regierungspartei in Deutschland am rechten Rand zu fischen, indem man suggeriert, man wäre in der Lage, sich über die Haager Flüchtlingskonventionen hinwegzusetzen und den Flüchtlingen ihre Rechte abzusprechen und somit auf den Zug der Pauschalisierung „Flüchtling=Terrorist“ aufzuspringen. Merkt ja keiner. Geht in der Masse der erstarkenden braunen Suppe unter. So kurz vor den nächsten Wahlen zählt halt jede Stimme, egal wie sehr sie stinkt. 
 
Woran Europa in aller erster Linie scheitert, ist der Irrglaube, dass eine gemeinsame Währung eint. Der einseitige Blick auf eine wirtschaftliche Fiskalunion ist der Formfehler schlechthin, wie man anhand des aktuellen Gebahrens der europäischen Staaten beobachten kann. Hier ist nichts vereint. Ganz im Gegenteil. Wir haben es geschafft, dass sich jeder wieder selbst der Nächste ist, bzw. haben wir diese Attitüde wohl nie abgelegt. Deutschland nicht, was aufgrund seiner wirtschaftlichen Kraft, dem Durchboxen des Niedriglohnsektors und massiven Einschränkungen des Sozialstaats seine Wirtschaftskraft exorbitant gesteigert hat und durch seinen enormen Exportüberschuss die anderen europäischen Länder in eine wirtschaftliche Zwangsehe drängt und ausbluten lässt. England als parlamentarische Monarchie, das nicht müde wird zu signalisieren, wie egal ihm Europa eigentlich sei. Frankreich, das immer noch mit seinen afrikanischen Kolonien beschäftigt ist. Griechenland als Wiege der Demokratie liegt ausgehölt und ausgehungert am Boden. Ebenso viele andere süd- und osteuropäische Länder ächzen unter der Last, die die gemeinschaftliche Währung ohne gemeinschaftliche Wirtschafts- und Produktionskraft ihnen aufbürdet. Allein Export-Weltmeister Deutschland setzt die Wirtschaftskraft der kleineren EU-Staaten dermaßen unter Druck, dass diesen Ländern langfristig nur die Kreditaufnahme übrigbleibt und die Staaten damit in eine weitere finanzielle Abhängigkeit bringt. Die Armut in anderen europäischen Ländern wächst in dem Maße, in dem das Bruttosozialprodukt in den westlichen Mitgliedsländern – besonders Deutschland – steigt. Den größten Nutznießer dieser Politik stört dies nicht weiter. Warum sollte es auch. Dem deutschen Volk geht es ja dadurch scheinbar gut. Was interessieren uns die europäischen Nachbarn? Jedoch ist vorauszusehen, dass je größer der wirtschaftliche Druck durch diese ungleiche Wettbewerbsgemeinschaft wird, auch der Wunsch der einzelnen Nationalstaaten wachsen wird, aus dieser beklemmenden Gemeinschaft auszubrechen.
 
Initiativen für direkte Demokratie, für Autonomie, separatischtische Bewegungen, wie die in Schottland oder Katalonien, Rückzüge auf nationale Alleingänge in der EU wie die Ungarns oder Polens, Austrittstendenzen wie die Englands oder Finnlands, begleitet von nationalistischen Exzessen, die vom Rest der Gemeinschaft geduldet werden wie in der Ukraine, terroristischen Exzessen wie denen des IS sind Ausdruck dieser Entwicklung. 
 
Hinzu kommt die Reglementierungswut des bürokratischen Monsters in Brüssel, dass sich lieber um Normgurken und Glühlampen kümmert, anstatt der europäischen Union einen humanistischen und innovativen Mehrwert zu bringen, die kontinentale Wirtschaft zu pushen und zu schützen und die völkische und kulturelle Vielfalt zu erhalten, die Europa eigentlich so herrlich bunt macht. Stattdessen wird harmonisiert und eingeschränkt, was das Zeug hält – bis hin zu einheitlichem, genormtem Saatgut. Adé altdeutscher Apfel, adé krumme Gurke.
 
Momentan driftet in Europa auseinander, was auseinander driften kann. Wir verlieren uns wieder in Nationalstaaten und Kleinstaaterei. Der Egoismus des Einzelnen tritt internationale Menschenrechte und Konventionen mit den Füßen und zeigt sein wahres Gesicht. Ungarn errichtet Mauern und Stacheldraht, Polen meint, dass die Syrer lieber in ihrem (von uns zerstörten) Land kämpfen sollen, anstatt Unter den Linden Kaffee zu trinken. Deutschland will die Grenzen schließen und den Flüchtlingen nicht einmal mehr die subsidären Schutzrechte gewähren und generell hätte Europa am liebsten eine große Mauer um den Kontinent gezogen, damit es nicht weiter mit den Ergebnissen seines Tuns konfontiert wird.
 
Führt das automatisch zum Tod des europäischen Gedankens? Mitnichten. Niemand stirbt so schnell, solange die überlebenswichtigen Organe noch funktionieren. Aber mit der richtigen Behandlung wäre man vielleicht in der Lage, die Heilung zu beschleunigen. Vielleicht muss Europa erst auf ein gesundes Maß zurückgestutzt werden? Vielleicht muss eine neue, jüngere, vielfältige Generation frischen Wind in die verzwickte Situation bringen. Weg von den Ressentiments und verkrusteter Sichtweise. Weg von der Wettbewerbsgesellschaft hin zu Innovation und einer gleichberechtigten Staatengemeinschaft, die auf Augenhöhe wieder gemeinsame und vor allem humanistische Ziele verfolgt. Weg von größenwahnsinnigen Projekten und unsinniger Gesetzgebung hin zu der Familie als Einheit, der kulturellen Völkerverständigung, nachhaltiger Produktion und vor allem Humanismus und Empathie. Die Haager Menschenrechtskonventionen sollten oberstes Gesetz innerhalb der europäischen Union werden. Jede Zuwiderhandlung sollte mit starken Sanktionen belegt werden. Wir brauchen einen vielgestalteten Zusammenschluss von vielen Republiken mit unterschiedlichen Kulturen, Religionen und Ansichten. Wie sollte auch sonst ein gemeinsamer Konsens für ein wirkliches europäisches, gleichberechtigtes Miteinander enstehen?
 
Eine Abkehr vom transatlantischen Duckmäusertum und der unterwürfigen Arschkriecherei gegenüber unseren amerikanischen „Freunden“ wäre ebenso zu begrüßen wie eine Anklage von Powell, Bush Sr. & Jr. und Obama wegen Massenmord, völkerrechtswidrigen Angriffskriegen und millionenfachem Verstoß gegen Menschen- und Völkerrecht.
 
Wenn uns die Erneuerung gelingt, wenn wir wieder ein europäisches, anstatt ein imperialistisches, amerikanisch angehauchtes Leben führen, wenn wir es schaffen, nach dem Niedergang der europäischen Union auf die wirklichen Werte zu setzen und uns einander mit Sympathie und Empathie begegnen, dann wird auch ein Europa wie der Phoenix aus der Asche erstehen und heller strahlen als je zuvor. Allerdings stehen uns vorher noch lange, düstere und anstrengende Jahre bevor. Packen wir’s an! Wer, wenn nicht wir?

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